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Was ist eine Dyskalkulie?

Eine Dyskalkulie bzw. eine Rechenschwäche besteht dann, wenn ein Kind länger als ein halbes Jahr andauernde Schwierigkeiten in der Mathematik hat, welche nicht durch Faktoren wie eine verminderte Intelligenz, ungenügende Beschulung oder sonstige Gründe erklärt werden können. Gemäss WHO gilt die Diskrepanz-Definition: Ein Kind, welches einen IQ im Durchschnittsbereich aufweist und dessen mathematischen Leistungen eine starke Differenz zu diesem zeigen. Das Defizit betrifft die Beherrschung grundsätzlicher Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie, Differential oder Integralrechnung benötigt werden.

Was sind die Gründe für eine Dyskalkulie?

Dazu bestehen verschiedene Erklärungsansätze. Eine aktuelle Erklärung aus der kognitiven Neurobiologie ist dasTriple-Code Modell von Dehaene. Dieses sagt aus,  dass es im Hirn kein einzelnes Rechenzentrum gibt, sondern drei verschiedene Module, welche fürs Rechnen zuständig sind. Und zwar folgende :

  • das Modul für die analoge Repräsentation der Mächtigkeit von Mengen (Vergleichen, Überschlagsrechnungen, Schätzen…),
  • das Modul für die auditiv-sprachliche-Repräsentation (Zahlwort, Zählen, Faktenwissen, Kopfrechnen, Zahlen sprechen und hören)
  • das Modul für die visuell-arabische Repräsentation (Operationen mit mehrstelligen Zahlen, Teilbarkeit, gerade-ungerade, Zahlen lesen und schreiben) 

Bei einem Kind oder Erwachsenen mit unauffälliger Rechenfähigkeit wird beim Lesen einer Zahl (Bsp.: «7») das Zahlwort («sieben») im Kopf automatisch aktiviert. Zusätzlich bildet sich eine Vorstellung der ungefähren Grösse dieser Zahl in unserem Bewusstsein aus. Aus der Zusammenarbeit dieser drei Komponenten entsteht ein mentaler Zahlenstrahl in unseren Köpfen.

Diese drei Module arbeiten also Hand in Hand und es besteht die Vermutung, dass bei einer Rechenschwäche  die Entwicklung mindestens eines dieser Module oder der Austausch unter ihnen beeinträchtig ist. Leider wächst sich die Dyskalkulie nicht einfach aus. Das Kind braucht Unterstützung damit seine Rechenschwierigkeiten nicht immer gravierender werden, da in der Mathematik alles aufeinander aufbaut. Dyskalkulie hat aber in den seltensten Fällen mit der Intelligenz zu tun.

Weshalb wird eine Dyskalkulie oft lange nicht erkannt?

Viele der betroffenen Kindern entwickeln eigene Strategien wie Finger zählen oder rechnen mit hochkomplizierten Wegen, was teilweise zu richtigen Resultaten führen kann v.a bei den Aufgaben in den ersten zwei Schuljahren. Da aber keine Automatisation stattfinden kann, scheitern diese Kinder oft wenn die Rechnungen komplizierter werden, da sie einen grossen Aufwand darauf verwenden müssen um die Basisaufgaben wie 7+ 5 zu lösen. Damit wird ihr Kurzzeitspeicher überlastet und sie können die Aufgaben meistens nicht mehr korrekt zu Ende lösen. Oft hat man dann das Gefühl, dass sich das Kind nicht genügend konzentriert oder es Flüchtigkeitsfehler macht.

Wie wird eine Dyskalkulie-Diagnose erstellt?

Dafür braucht es eine vertiefte Abklärung . Bei dieser Abklärung geht es darum die Rechenwege des Kindes zu erfragen, sowie etwas über die Lernmotivation, Selbstständigkeit, Arbeitsstrukturen, Wahrnehmung und den Kurzzeitspeicher des Kindes zu erfahren. Falls es eine offiziell annerkannte Diagnose braucht, benötigt man zusätzlich einen Intelligenztest, welchen man bei der Schulpsychologin machen lassen kann. Da es aber in den meisten Kantonen keine finanzielle Unterstützung gibt für eine Dyskalkulie-Therapie, können wir gerne im gemeinsamen Gespräch rausfinden, ob ein zusätzlicher IQ-Test für Ihr Kind Sinn macht, da dieser auch immer mit einem gewissen Stress für das Kind verbunden ist.

Was nützt eine Dyskalkulie-Abklärung oder -Diagnose?

Allenfalls kann sie das Kind und/oder auch die Eltern entlasten und denLeistungsdruck reduzieren. Teilweise hilft eine Abklärung/Diagnose auch dabei die Familiensituation allgemein zu beruhigen, so führen z.B. Hausaufgaben danach oft zu weniger Streitereien. Es werden sich alle Beteiligten (Eltern, Lehrpersonen) bewusst, dass die Defizite nicht einfach behoben werden können durch intensiveres Üben oder bessere Konzentration. Selber erlebe ich immer wieder auch, wie die Motivation der Kinder für Mathematik mit der Therapie steigt, da sie sich verstanden und v.a. an ihrem Wissensstand abgeholt fühlen. Sie merken in der Therapie, dass Mathematik für sie machbar ist und nicht mehr nur ein Zahlendurcheinander, das sie nicht verstehen.

Wie kann ich als Eltern mein Kind bei einer Dyskalkulie unterstützen?

Leidet Ihr Kind an einer Dyskalkulie, braucht es Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung in besonderem Maße. Loben Sie bei Ihrem Kind auch die kleinsten Fortschritte und v.a. auch seine Anstrengungen. Lassen Sie sich selber nicht unter Druck setzen durch die Schule und deren Arbeitstempo.

Wichtig ist, dass Ihr Kind die Freude an der Mathematik nicht verliert. Das primäre Ziel muss sein, die Freude an der Mathematik wieder zu erwecken mit (individuellen) Erfolgserlebnissen, die das Selbstvertrauen stärken. Dafür wird optimalerweise der Basisstoff Stück für Stück aufgearbeitet, angepasst am Wissenstand des Kindes. Die Aufgabenschwierigkeit sollte erst dann gesteigert werden, wenn Ihr Kind den vorhergehenden Schritt sicher beherrscht.

Zeigen Sie bitte den Kindern keine Tricks (z.B. Rechne doch 5+3 statt 3+5) und keine eigenen Methoden, solche gutgemeinten Hilfen rächen sich meistens ab 3./4.Klasse. Wenn Sie dem Kind regelmässig helfen müssen und/oder oder wenn das Kind immer wieder starken Widerstand zeigt, benachrichtigen Sie unbedingt die Lehrperson und lassen Sie das Kind bei einer Dyskalkulie-Therapeutin abklären.

Bei Textaufgaben muss das Kind mit der Zeit selbständig planen, wie es vorgehen will. Planung muss aber im Alltag geübt werden. Planen Sie doch zum Beispiel gemeinsam mit den Kindern Ausflüge, Freizeitaktivitäten, Ferien etc. Eine weitere gute Idee ist das gemeinsame Erstellen eines Wochenübersicht-Planes, auf dem alle Schulfächer sowie auch Freizeitaktivitäten und Ämtli eingetragen werden können. Somit kann geübt werden, dass das Kind selber verantworlich ist um z.B. die Turnsachen, entsprechende Lernbücher etc. am richtigen Tag einzupacken. Auch soll das Kind regelmässig Pflichten übernehmen wie Haustier füttern, Tisch decken, Kehricht wegtragen etc. Auch das fördert die Eigenverantwortung und das Selbstvertrauen.

Ist eine Dyskalkulie heilbar?

Die Kinder können durch geeignete schulische Förderung und durch therapeutische Maßnahmen große Fortschritte erzielen. Viele Betroffene haben aber immer überdurchschnittliche Schwierigkeiten mit entsprechenden Aufgaben.

Was hilft bei einer Dyskalkulie? Wie arbeite ich mit dem Kind in der Therapie?

Zu Beginn steht eine genaue Abklärung, in der ich rausfinde, wie das Kind rechnet (was hat es verstanden, was hat es automatisiert, wie sind seine Rechenwege etc.) und in der ich weitere Aspekte anschaue, die für den Erfolg in der Mathematik wichtig sind. Die Rechenwege des Kindes sind sehr wichtig, da es zum richtigen Resultat kommen kann, obwohl es falsche oder sehr umständliche Rechenwege benützt oder mit den Fingern zählt. All das verhindert aber eine Automatisation und wird mit der Zeit, wenn die Rechenaufgaben immer komplizierter und komplexer werden, dem Kind ein Vorwärtskommen in der Mathematik verunmöglichen oder sehr verlangsamen. Leider wird das in den schriftlichen (Schul-)Tests oft nicht gemerkt.

In der Abklärung beobache und erfrage ich auch die Arbeitsweise, die Motivation, die Selbstständigkeit, das räumliche Vorstellungsvermögen, das Kurzzeitgedächnis und das Selbstvertrauen des Kindes. Anhand dieser umfassenden Informationen erstelle ich auf Wunsch einen individueller Förderplan für das Kind und bespreche diesen mit Ihnen. Dabei werden wir auch weitere Abmachungen treffen z.B. betreffend Hausaufgaben aus der Therapiestunde, Unterstützung zu Hause und vereinbaren allenfalls nach einigen Wochen ein weiteres Gespräch,  bei dem ich auch eine grobe Schätzung über die Dauer der Therapie geben kann.

Mit dem Kind beginne ich genau dort zu arbeiten, wo es die ersten Lücken bzw. die ersten Verständnisschwierigkeiten hat. In der Therapiestunde geht es darum mit dem Kind ein adäquates Zahlen- und Rechenverständnis aufzubauen sowie an der Automatisation zu arbeiten. Automatisation hilft dabei den Kurzzeitspeicher des Kindes zu entlasten, die Arbeitsgeschwindigkeit zu erhöhen und die Fehleranfälligkeit zu minimieren. Ein weiterer wichtiger Punkt der Therapie ist es, das Selbstvertrauen des Kindes aufzubauen und die Angst vor der Mathematik abzubauen.

Gibt es empfehlenswerte Literatur zum Thema Dyskalkulie?

Gerne informiere ich Sie bei unserem Gespräch über die Hintergründe einer Dyskalkulie und die wichtigsten Punkte bei bei der Therapie. Falls Sie aber interessiert sind an tiefergehenden Informationen, würde ich Ihnen folgende Literatur empfehlen: «Rechenschwäche-Dyskalkulie: eine unterrichtspraktische Einführung für LehrerInnen und Eltern» von Michael Gaidoschik oder das Buch «Kindern mit Rechenschwäche erfolgreich fördern – ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und Therapeuten» von Armin Born und Claudia Oehler.